Freiwillig obdachlos

11:27 Mela 0 Kommentare


Dieser Beitrag ist eine Leseprobe, ein Sneakpeak in eines meiner Buchkapitel und wird als Adventskalenderbeitrag auf www.autoren-adventskalender.de erscheinen. Der Kapiteltext wurde für diesen Zweck etwas abgewandelt, da nicht alle Leser regelmäßige Leser dieses Blogs sind und uns noch nicht kennen.




Deutschland, Dezember 2016

„Jetzt leg dich schon rein!“ drängele ich. Mein Papa schaut mich mit einer Mischung aus mitleidig, amüsiert und widerwillig an. Ich möchte, dass er sich auf den Boden legt. Mitten im Wohnzimmer meiner Eltern, zwischen Fernseher, Weihnachtsbaum und Couchtisch habe ich meine aufgepustete Isomatte ausgelegt und meinen schicken, super leichten und flauschigen Schlafsack darauf platziert. Das Kissen ist ein Packsack, gefüllt mit Ersatzwanderklamotten. Um nicht mit dem Gesicht auf dem Plastik zu liegen ist das Ganze mit einem Buff-Schal ummantelt.

Es ist kurz vor Weihnachten und ich und mein Mann Henning sind mitten in den letzten Vorbereitungen für unsere zweite große Reise. 2014 waren wir ein halbes Jahr zu Fuß in den USA unterwegs, diesmal soll es nach Neuseeland gehen. In wenigen Tagen geht es los und wir sind bei meinen Eltern in der Heimat in das Gästezimmer eingezogen. Unsere Wohnung und unsere Jobs haben wir gekündigt und all unser Besitz in einem Kellerraum eingelagert.

Da wir kaum ein anderes Thema als die bevorstehende Weltreise und unsere große Wanderung haben, geht es auch heute nicht um das bevorstehende Weihnachten, sondern um unsere Ausrüstung.
Irgendjemand hatte den Kommentar gebracht: „Isomatte, das wäre mir viel zu unbequem! Und ihr wollt da ein halbes Jahr drauf schlafen?!“ Da wir unsere Ausrüstung bereits monatelang in der Praxis getestet, ausgetüftelt und verbessert haben, sind wir von ihrer Funktion und Gemütlichkeit überzeugt und begeistert.
Zwar kann ich mich nicht erinnern wer der Zweifler war, aber das muss jetzt die ganze Familie ausbaden.
„Bitte, probier‘ doch mal! Das ist total bequem, das wird dich umhauen!“ 
Endlich erbarmt sich mein armer Papa, ein würdevoller Geschäftsmann Anfang Fünfzig, und legt sich auf den Boden. Was man nicht alles für seine Kinder tut. Selbst wenn diese schon längst erwachsen sind. Manchmal frage ich mich schon für wie verrückt mich meine Verwandtschaft hält.
„Naja, also ich glaube ich würde da Rückenschmerzen bekommen.“, sagt mein Papa. Er war sofort wieder aufgestanden und nicht mal halb so begeistert wie erwartet.
„Nein, man bekommt keine Rückenschmerzen auf dieser Matratze! Die wiegt nur 344 Gramm und ich habe darauf weniger Probleme als in meinem eigenen Bett!“, erwidere ich aufgebracht. Ich kann nicht verstehen wie er etwas anderes als begeistert von meiner zukünftigen Schlafstatt sein kann. Er lächelt nachsichtig. Manchmal habe ich das Gefühl als könne er sich nicht entscheiden ob er stolz auf mich ist oder denkt, dass ich Zeit verschwende.
Jetzt ist der Rest dran. Als sich meine Schwester auf das Schlaflager im Wohnzimmer niederlässt, gesellt sich der Hund dazu. Ihm scheint es zu gefallen. Wir müssen lachen. Wir fragen uns, wie er es schafft auf der relativ schmalen Matratze neben meiner Schwester noch Platz zu finden. Es ist kein großer Hund. Aber es ist auch eine minimalistische Isomatte.

Meine Familie freut sich, dass wir da sind und gleichzeitig verstecken sie auch nicht, dass sie sehr traurig sind, dass wir für so lange Zeit weg sein werden. Neuseeland ist nicht gerade um die Ecke. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass wenn man ein Loch von Deutschland aus durch den Erdball bohren würde, man auf der anderen Seite bei Neuseeland rauskommt. Wir fliegen also auf die andere Seite der Welt. 
Aber vorher feiern wir erstmal gemütlich Weihnachten. Alle zusammen. Ganz nah.


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